Die 2. Deutsche Nordpolarfahrt von 1869

Um 6 Uhr morgens stürmt Steuermann Hildebrandt am 11. Januar 1870 ins Hansa-Haus. „Alle Mann klar!“, brüllt er und reißt seine Kameraden damit aus dem Schlaf. Im selben Augenblick hören sie auch schon ein lautes Krachen und Knirschen. Ist ihre Scholle am Ufer der Insel auf Grund gelaufen? Alle greifen nach ihrer Pelzkleidung und den gepackten Beuteln. Zum Anziehen bleibt keine Zeit. Ins Freie, so schnell wie möglich. Doch so einfach ist das nicht. Draußen tobt ein Schneesturm, und der hat so viel Schnee vor den Eingang geschaufelt, dass nur einer nach dem anderen hinauskommt. Das dauert zu lange. Keiner weiß, was geschehen ist, wie groß die Gefahr ist und ob sich die Scholle noch hält. Was ist der schnellste Weg nach draußen? Durchs Dach der Vorhalle! Wenige Axthiebe und der Weg ist frei. Hals über Kopf stürzen alle hinaus.

Einen Wimpernschlag später wird jeder von der vollen Wucht des Sturms gepackt. Man kann sich kaum auf den Beinen halten. Die Sicht ist gleich Null, und die Luft scheint einem wegzubleiben. Und dann noch diese fürchterliche Kälte. Die Männer sind nur mit Wollsachen bekleidet. Ihre Pelzmäntel und -hosen halten sie im Arm. Sie anzuziehen, ist bei diesem Wind unmöglich. Keiner wagt, auch nur einen Schritt allein zu gehen, aus Angst, die Gruppe zu verlieren. Was sollen sie tun? Das Knirschen und Krachen dröhnt immer noch durch die Nacht und übertönt sogar das Heulen des Sturms. „Zur ‚Hoffnung’!“ brüllt Kapitän Hegemann seinen Leuten zu. Sie müssen versuchen, das ehemalige Beiboot der „Hansa“ zu erreichen. Sollte die Scholle zerbrechen, wären sie nur in dem Boot sicher.

Mühsam kämpfen sich die Männer durch den Sturm zur „Hoffnung“ vor. Es gelingt ihnen tatsächlich, das Walfangboot zu erreichen, ohne einen aus der Gruppe zu verlieren. Sie werfen ihre Pelzkleidung hinein und kauern sich hinter der „Hoffnung“ zusammen. Notdürftig vor dem eiskalten Wind geschützt, verbringen die Schiffbrüchigen die nächsten Stunden. Aneinender gedrängt warten sie darauf, dass der Sturm nachlässt. Doch ehe es soweit ist, ruft gegen 8 Uhr einer von ihnen: „Wasser auf der Scholle, nahe bei!“ Der Sturm hat für einen Augenblick nachgelassen. Jeder sieht es jetzt mit eigenen Augen, dass das offene Meer nur noch einen Steinwurf weit von ihnen entfernt ist. Hohe Wellen schlagen gegen die Eiskante. Und dann ist es auch schon um das einstmals so große Eisfeld geschehen. Mit einem fürchterlichen Krachen zerbricht die Scholle. Ein klaffender Spalt tut sich auf. Er verläuft von der „Hoffnung“ in Richtung auf den Eingang des jetzt leerstehenden Hansa-Hauses und trennt die Gruppe nicht nur von ihrem gesamten Holzvorrat. Auch das Boot „Bismarck“ befindet sich auf der anderen Seite der Spalte und droht, abgetrieben zu werden. das Boot in Position zu bringen. Alle ziehen und schieben am Rumpf des Walfangbootes. Bis zu den Hüften versinken die Seeleute hierbei im Schnee. Aber das schwere Holzboot bewegt sich nicht. Die „Hoffnung“ steckt zu tief im Schnee. So werden sie das Boot nie flott bekommen.

Die Männer spüren die Dünung des Meeres unter sich. Sie sehen, wie die Wellen immer weiter auf das Eis spülen. In wenigen Minuten wird das Wasser sie erreicht haben. Wollen sie nicht sterben, müssen sie jetzt handeln.

„Den Proviant entladen!“, schreit der Kapitän. Ohne die Lebensmittel werden sie nicht lange überleben. Hegemann aber setzt alles auf eine Karte.

„Die ‚Hoffnung’ klarmachen!“, dröhnt die Stimme Paul Friedrich August Hegemanns durch den Sturm. Jeder stürzt so schnell es der tiefe Schnee zulässt auf seinen Posten. Die letzten Kraftreserven werden mobilisiert, um das Boot in Position zu bringen. Alle ziehen und schieben am Rumpf des Walfangbootes. Bis zu den Hüften versinken die Seeleute hierbei im Schnee. Aber das schwere Holzboot bewegt sich nicht. Die „Hoffnung“ steckt zu tief im Schnee. So werden sie das Boot nie flott bekommen.